Neben Kolumbien ragt vor allem Mexiko als ein Land hervor, dessen wirtschaftliche, politische und kulturelle Geschichte der letzten vier Jahrzehnte nicht ohne Berücksichtigung der mit dem globalisierten Drogenhandel verbundenen Strukturen besprochen werden kann. Die kriminelle Dimension der Distribution und Kommerzialisierung von narkotischen Substanzen geht hierbei bekanntlich über Delikte der Wirtschaftskriminalität hinaus, denn die riesigen Summen illegal erwirtschafteten Kapitals gehen mit einer immensen Welle von Gewalthandlungen einher, die tagtäglich Opfer einfordern. Diese Omnipräsenz der Gewalt geht vor allem auf die Skrupellosigkeit der Kartelle zurück, die ihre Interessen rücksichtslos durch massive Bedrohung, Mord und Attentate durchsetzen. Die Brutalität der narcotráficantes findet jedoch auch gewalttätige Antworten in Form staatlich-militärischer Gegenschläge, die seit dem in den 1970er Jahren von der US-Politik deklarierten "War on Drugs" auch tatkräftige Unterstützung aus dem nordamerikanischen Ausland erhalten. In verschiedenen Regionen Mexikos, vor allem im Norden, gehört die Beschäftigung mit der Thematik des narcotráfico zum Alltag - sei es durch die Konfrontation mit den neuesten Gewalttaten in den Nachrichten oder gar durch den persönlichen Kontakt mit Menschen, die in irgendeiner Form mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen. Diese alltägliche Präsenz der narco-Thematik im Bewusstsein der Mexikaner*innen hat zu einer medialen Verarbeitung der Drogenkriminalität beigetragen, die mittlerweile weit über die Berichterstattung in Presse und TV hinausgeht. Angesichts der gesellschaftlichen Tragweite ihrer Bedeutung haben die narcotráficantes als Figuren Eingang in diverse literarische, filmische und musikalische Medien gefunden. Während das Bild der lateinamerikanischen Drogenkriminalität in Deutschland vor allem von US-amerikanischen Actionfilmen und in jüngerer Zeit durch die Netflix-Reihe Narcos geprägt wurde, hat sich in Mexiko und Kolumbien die fiktionale Aufarbeitung der kriminellen Alltagsrealität in Form von kulturellen Artefakten (Romane, Filme, Telenovelas, Musik, Online-Videos, Blogs etc.) im Verlauf der letzten drei bis vier Jahrzehnte derartig etabliert, dass man von einer regelrechten "Narko-Kultur" sprechen kann.
Das Seminar zielt auf eine Auseinandersetzung mit der "narcocultura" Mexikos, die im Laufe des Semesters anhand von verschiedenen kulturellen bzw. medialen Repräsentationen des narco-Systems kritisch diskutiert werden soll. Nach Annäherungen an das Phänomen aus kulturwissenschaftlicher, soziologischer und philosophischer Perspektive wird uns die Netflix-Serie Narcos Mexico als ein Einstieg dienen, um uns in der Folge mit Essays/Chroniken, Romanen und TV-Serien zu beschäftigen, die die narco-Thematik verarbeiten. Einen weiteren Untersuchungsgegenstand sollen die sog. corridos bilden, die sich als gesungene Balladen dem Leben bekannter narcotráficantes widmen.