In dem wichtigen Buch »Verkehrte Welten. Zur imaginären Ethnographie des 19. Jahrhunderts« des Ethnologen Fritz Kramer wird der Versuch unternommen, die Phantasmen jenes wissenschaftlichen Optimismus zu beschreiben, der sich anschickt, in einer globalisierten Welt das ‚Andere’ und ‚Fremde’ endgültig zu erfassen, zu klassifizieren und schließlich in Museen auszustellen.
Die Literatur ist nicht nur durch den Entwurf jener Narrative und Denkfiguren, die seit der Epochenschwelle ‚um 1800’ die epistemologischen Koordinaten der Anthropologie bzw. Ethnographie formulieren, in die Entstehung der entsprechenden Diskurse involviert, sondern auch durch ihre Aufmerksamkeit für die Paradoxien und Dissonanzen, die sich zwischen imperialen Ansprüchen, beschleunigter Modernisierung und veränderten Lebenswelten auftun.
Eine problemorientierte Lektüre, die sich insbesondere den Austauschverhältnissen zwischen den Texten und dem Wissen einer historischen Epoche widmet, kann also nicht einfach nach Motive des Exotischen fahnden, sie muß vielmehr analysieren, wodurch die Literatur unter solchen Vorzeichen dazu befähigt wird, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Orientierung zu stiften und Weltbilder zu prägen. Im Seminar sollen neben diesen Fragen auch die erzähltheoretischen sowie medialen Voraussetzungen und Implikationen dieser spezifisch literarischen Leistung thematisiert werden.
Behandelt werden u.a. folgende Texte: Adolf Bastian, Afrikanische Reisen; Theodor Storm, Novellen [Auswahl]; Wilhelm Raabe, Abu Telfan, Stopfkuchen; Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla [Auswahl]; Richard Andrée, Die Anthropophagie. Eine ethnographische Studie; Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg [Auszüge], Irrungen, Wirrungen; Der Stechlin; Effi Briest, sowie eine Auswahl zeitgenössischer Texte, die hier zur Verfügung gestellt werden