Mit dem spanischen Schelmenroman beginnt die Erfolgsgeschichte des europäischen Romans. Der 1554 anonym erschienene „Urvater“ der novela picaresca, der Lazarillo de Tormes prägt die Erzählliteratur der Neuzeit und ist gleichzeitig ein sozial- und kulturkritisches Zeugnis erster Güte. Die episodisch erzählten Abenteuer des Anti-Helden werden schonungslos in einem mitunter grotesken Hyperrealismus dargestellt, dessen Komik und Kreatürlichkeit die Grenzen des guten Geschmacks lustvoll überschreiten und dabei die typischen Sozialfiguren (den Priester, den verarmten Hidalgo, den Bettler....) der Zeit ins Lächerliche ziehen.  Der wichtigste Nachfolger des Lazarillo ist Francisco de Quevedos La Vida del Buscón (ersch. 1626). Es scheint auf den ersten Blick, als habe Quevedo die Schelmenstreiche des Lazarillo noch gesteigert – vor allem im Hinblick auf die Schilderungen sowohl körperlicher Gewalt als auch unappetitlicher Kreatürlichkeit. Erst auf den zweiten Blick wird offenkundig, dass diese Übertreibungen bereits erste parodistische Tendenzen im Umgang mit der extrem beliebten Gattung der novela picaresca enthalten.

 

Im Seminar werden diese beiden (schmalen) Klassiker des spanischen Schelmenromans gelesen. Bei der Textarbeit sollen u.a. folgende Fragestellungen bearbeitet werden:

 

  1. Die novela picaresca: Gattungstheoretische Grundlagen
  2. Der ‚pícaro‘ als literarische Figur: Held oder Anti-Held?
  3. ‚El pícaro et las mujeres:‘ Geschlechterordnung im Schelmenroman
  4. Männlichkeit und Gewalt in der ‚novela picaresca‘
  5. Komik und Karneval im Schelmenroman
  6. Gesellschafts- und Kulturkritik im Schelmenroman
  7. Kulturgeschichte des Siglo de Oro
  8. Die Nachfolger des Lazarillo: Einflüsse auf den gesamteuropäischen Kontext