Wenn man den einschlägigen Lektüreempfehlungen für Spanischstudierende folgt, dann bleiben von der Literatur des spanischen 18. Jahrhunderts in der Regel vier Theaterstücke übrig, deren Zugehörigkeit zum Kanon unstrittig ist. Das heißt nichts anderes, als dass man zumindest diese vier Stücke gelesen haben „muss“, um über literaturgeschichtliche Grundkenntnisse des Theaters der Aufklärungsepoche zu verfügen. Im Einzelnen sind das La comedia nueva o el café (1791) und El sí de las niñas (1806) von Leandro Fernández de Moratín, El delincuente honrado (1773) von Gaspar Melchor de Jovellanos und Raquel (1778) von Vicente García de la Huerta. Aber natürlich vermittelt diese Auswahl nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus der Fülle des vielfältigen Theaterschaffens im 18. Jahrhundert in Spanien, das sich nicht auf einige Musterbeispiele für das sogenannte “neoklassizistische” Drama (Moratín), ideologische Schlüsselkonflikte (García de la Huerta) oder eigenständige Verarbeitungen fremder Einflüsse (Jovellanos) reduzieren lässt. In unserem Seminar werden wir daher bewusst einen Schritt über diese engen Grenzen hinausgehen und uns mit den Themen und Genres beschäftigen, die sich „jenseits des Kanons“ befinden, ohne deshalb weniger interessant oder aufschlussreich zu sein – ganz im Gegenteil! Dazu zählen Ramón de la Cruzʼ aufklärungskritisches Stück(chen) La civilización (1763), das zur Kurzgattung sainete gehört, Gaspar Melchor Jovellanosʼ Tragödie Pelayo (1769), die typisch für den weit verbreiteten Rückgriff auf nationale Helden aus der Zeit der Reconquista ist, María Rosa Gálvezʼ im Kongo spielende, gegen die Sklaverei protestierende Tragödie Zinda (1801) und Leandro Fernández de Moratíns unverkennbar auf eine Zarzuela zurückgehende Komödie El Barón (1803). Darüber hinaus werden wir auf die poetologische Polemik zurückkommen, die sich im Anschluss an die Poética (1737) Luzáns entwickelte, und die interessanten Kerngedanken zur Kulturpolitik, wie sie Gaspar Melchor Jovellanos in seiner Memoria sobre los espectáculos y diversiones públicas (1790) vorstellte, diskutieren. Ein genaues Programm und eine Auswahlbibliographie werden ab Anfang April auf Moodle zu finden sein.

Literatur:

Alle im Seminar behandelten Texte werden den Teilnehmern in elektronischer Form auf Moodle zur Verfügung gestellt. Bitte melden Sie sich daher rechtzeitig vor Veranstaltungsbeginn auf Moodle an! Für einen ersten Überblick empfiehlt sich die Lektüre der entsprechenden Kapitel zum Drama des 18. Jahrhunderts in Christoph Strosetzki (Hrsg.), Geschichte der spanischen Literatur, Tübingen: Niemeyer, 1991, Hans-Jörg Neuschäfer (Hrsg.), Spanische Literaturgeschichte, 3., erweiterte Auflage, Stuttgart/Weimar: Metzler, 1997 oder Klaus-Dieter Ertler, Kleine Geschichte der spanischen Aufklärungsliteratur, Tübingen: Narr, 2003. Zur vertieften Vorbereitung eignet sich Jesús Pérez-Magallón, El teatro neoclásico, Madrid: Ed. del Laberinto, 2001.

Voraussetzungen:

Gute Spanischkenntnisse, denn die behandelten Texte sind nicht auf Deutsch verfügbar, sowie – natürlich – regelmäßige Anwesenheit und aktive Mitarbeit. Außerdem: Alle TeilnehmerInnen müssen bis Seminarbeginn zumindest das Stück La civilización vollständig gelesen haben.

Leistungsnachweis:

Für 2/3 (Studienleistung) KP: Referat (Vortrag, Präsentation, ggf. Thesenblatt) einzeln oder, je nach Teilnehmerzahl, in der Gruppe; für 3 (Prüfungsleistung)/5/7 KP: zusätzlich längere schriftliche Arbeit.