Kommentar:

 

Das Seminar
beschäftigt sich mit der Entwicklung, die in Argentinien seit Ende der 1990er Jahre
zur Abkehr vom kulturpolitischen Auftrag des Neuen Lateinamerikanischen Kinos
der 1970er und 1980er Jahre und zur Entstehung des sogenannten Nuevo Cine
Argentino geführt hat. Nach der Militärdiktatur (1976-1983), in der die
argentinische Filmindustrie ihre bis dahin größte Krise erlebte, kam es ab 1984
zu einer schnellen Erholung der Filmproduktion, die jedoch trotz
internationaler Anerkennung, wie etwa durch den Oscar für Luis Puenzos La
historia oficial
(1984), nicht lange anhielt. Zu Beginn der 1990er Jahre
geriet das argentinische Kino erneut in eine tiefe Krise, die sich u.a. in
einem starken Rückgang der Filmproduktion und des Publikumsinteresses äußerte.
Bereits Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich allerdings aus der Krise heraus
ein neues und zunächst von staatlicher Förderung unabhängiges Kino mit jährlich
steigenden Produktions- und Zuschauerzahlen. Mittlerweile sorgen argentinische
Regisseurinnen und Regisseure auf zahlreichen Festivals weltweit für Aufsehen
und werden mit Preisen und Würdigungen bedacht. Getragen wurde diese
Entwicklung von einer neuen Generation junger Filmemacherinnen und Filmemacher,
die sich verstärkt der ästhetischen Reflexion der veränderten politischen
Relevanz des Kinos im Spannungsfeld partikularer Interessen und globaler
Entwicklungen widmeten. Unter dem zentralen Gesichtspunkt des veränderten
Verhältnisses von Ästhetik und Politik werden wir diese Entwicklungen anhand
verschiedener, thematisch und formal/ästhetisch breit gefächerter Beispiele
analysieren.

Erst vor einem Jahr, im letzten Wintersemester
2012/13, haben wir schon einmal ein Seminar mit dem Titel „Nuevo cine
argentino“ angeboten. Warum steht nun schon wieder ein Seminar zum Neuen
Argentinischen Kino auf dem Programm? Zwei Gründe gibt es dafür. Zum einen ist
das Phänomen des neuen argentinischen Kinos so reichhaltig, dass ein einzelnes
Seminar bei weitem nicht reicht, um auch nur annäherungsweise einen Eindruck
von der Vielfalt der so bezeichneten Filme zu vermitteln. Darüber hinaus hatten
wir uns beim letzten Mal auch vor allem auf so publikumswirksame, kommerziell
erfolgreiche und den Ruf des Neuen Argentinischen Kinos international
begründende Filme wie Marcelo Piñeyros Kamchatka(2002) oder Fabián Bielinskys Nueve
reinas
(2000) und El aura (2005)
konzentriert. Dabei ist es in der Kritik durchaus umstritten, ob und inwiefern
diese eher als Konkurrenz zu einem eingängigen Hollywoodkino aufzufassenden
Produktionen überhaupt der Strömung des Neuen Argentinischen Kinos zuzurechnen
seien, zumindest wenn man dieses eher mit ästhetisch innovativen, vom
europäischen Autorenkino geprägten Ansätzen identifizieren möchte. Deshalb
werden wir uns dieses Mal schwerpunktmäßig Filmen widmen, die eine stärker
persönliche Handschrift tragen und ästhetisch eigenwilliger, experimenteller
sind – deren Betrachtung aber auch möglicherweise etwas mehr Geduld und
Bereitschaft voraussetzt, sich auf neue, ungewohnte Seherfahrungen einzulassen.

Der andere Grund indessen, warum das Neue
Argentinische Kino schon wieder Thema ist, liegt darin, dass vom 7.-9. November
2013 an der Universität Siegen eine große internationale Fachtagung mit dem
Titel „Nuevo Cine Argentino: nuevas relaciones entre estética y política (Das
Neue Argentinische Kino: neue Verhältnisse zwischen Ästhetik und Politik)“
stattfinden wird, an der zahlreiche bekannte Fachleute sowie zwei namhafte
argentinische Regisseure teilnehmen werden. Zu dieser Tagung sind auch alle
Studierenden und insbesondere die SeminarteilnehmerInnen, herzlich eingeladen. Nähere
Auskünfte finden Sie unter http://www.uni-siegen.de/phil/cine-argentino/index.html?lang=de.
Die Teilnahme ist kostenlos, man sollte sich nur per Mail dort anmelden.

Konkret werden wir gemeinsam und unter Anleitung von
jeweils zu bildenden ‚Expertengruppen‘ voraussichtlich die folgenden Filme
unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren, diskutieren und in ihre
jeweiligen kulturellen und filmhistorischen Kontexte einordnen: Pizza, birra, faso (1997) von Adrián
Caetano, Silvia Prieto (1998) von
Martín Rejtman, Garage olimpo (1999)
von Marco Bechis, Bolivia (2002) von
Adrián Caetano, Los rubios (2003) von
Albertina Carri, La niña santa (2004)
von Lucrecia Martel, El niño pez(2007) von Lucía Puenzo und Historias
extraordinarias
(2008) von Mariano Llinás.

 

Teilnahmevoraussetzungen:

Regelmäßige
Anwesenheit (Anwesenheitspflicht!), möglichst gute Spanischkenntnisse (denn wir
werden auch Filme behandeln, die nicht synchronisiert sind oder nur englischsprachige
Untertitel besitzen) und die Bereitschaft sich intensiv mit den behandelten
Filmen auseinanderzusetzen.

 

Literatur:

Zur Einführung
empfehle ich die Lektüre der beiden folgenden Aufsätze, die ab sofort auf
Moodle elektronisch verfügbar sind: Carolina Rocha, „Contemporary Argentine
Cinema during Neoliberalism“, in: Hispania92.4 (2009), 841-851 und David Oubiña, „Historias
breves
und Historias extraordinarias:
Innovation im zeitgenössischen argentinischen Kino“, in: Peter Birle/Klaus
Bodemer/Andrea Pagni (Hrsg.), Argentinien
heute. Politik, Wirtschaft, Kultur
, 2. vollständig neu bearbeitete Auflage,
Frankfurt am Main: Vervuert, 2010, 383-401.

 

Hinweis:

Das Programm
des Seminars und eine Bibliographie sind ab Ende September auf Moodle
verfügbar. Bitte melden Sie sich dort rechtzeitig an. Die Seminardauer ist aus
Gründen der Raumbelegung mit 16-20 Uhr angegeben. Die meisten Sitzungen werden
die übliche Dauer von zwei Stunden nicht überschreiten. Da wir uns aber einige
Filme gemeinsam ansehen werden, können manche Sitzungen entsprechend länger
dauern. Die Bereitschaft dazu sollten die SeminarteilnehmerInnen auf jeden Fall
mitbringen

 

Leistungsnachweis:

Für 2/3 (Studienleistung) KP:
Referat (Vortrag, Präsentation, Thesenblatt) einzeln oder, je nach Teilnehmerzahl,
in der Gruppe; für 3 (Prüfungsleistung)/5/7 KP: zusätzlich längere schriftliche
Arbeit.

 

Beginn:

22.10.2013