Kommentar:

Der Titel
unseres Seminars, „Spanische Todesarten“, ist zweifellos nicht von sich aus
verständlich und bedarf einer näheren Erklärung (auch die Tatsache, dass er auf
Ingeborg Bachmanns unvollendeten Prosazyklus „Todesarten“ anspielt, hilft nicht
wirklich weiter). Um Klarheit zu schaffen, hätte es eigentlich einen Untertitel
gebraucht. Dieser müsste so lauten „Eine Kultur- und Mediengeschichte der garrote vil“. Die garrote vil, der, so wörtlich, ‚schändliche/niederträchtige Stock‘,
auch ‚Würgeisen‘, ‚Würgschraube‘ oder ‚spanische Garrotte‘ genannt, ist eine
Hinrichtungsmethode, die vor allem in Spanien, aber auch in anderen Ländern zur
Vollstreckung der Todesstrafe herangezogen wurde. Nun wirkt dieses Thema auf
den ersten Blick aber nicht nur makaber, sondern auch recht abseitig. Bei
genauerem Hinsehen, wird man jedoch schnell feststellen, dass es sich dabei um
ein kultur- und mediengeschichtlich höchst aufschlussreiches ‚Kollektivsymbol‘
handelt, in dem sich ganz unterschiedliche Diskurse kreuzen, insofern diese
spezielle Hinrichtungsart immer wieder in den Fokus des philosophischen,
juristischen, politischen und vor allem auch des Interesses von Schriftstellern,
Malern und Filmregisseuren rückte. Wir werden daher die Beschäftigung mit der garrote vil einbetten in die
Rekonstruktion der höchst aufschlussreichen Geschichte der Diskussion um die
Todesstrafe, die in Spanien zum letzten Mal 1974 vollstreckt und 1978 endgültig
abgeschafft wurde. Diese Diskussion entflammte im Zeitalter der Aufklärung
unter dem Einfluss des auch in Spanien stark rezipierten Werk des Italienischen
Rechtsphilosophen Cesare Beccaria Dei delitti e delle pene (Von den Verbrechen und von den Strafen,
1764). In Spanien gewinnt diese Diskussion, und das macht sie besonders
interessant, eine Dimension, die sie von anderen Ländern unterscheidet. Das
hängt damit zusammen, dass die Verhängung der Todesstrafe in Spanien und die
spezifischen Formen ihrer Vollstreckung, von den Spaniern selbst, aber vor
allem auch durch das Ausland immer wieder als Teil der spanischen kulturellen
Identität aufgefasst wurden. Ihren am deutlichsten negativen Ausdruck hat dieser
Umstand in der sogenannten leyenda negra,
der ‚Schwarzen Legende‘, gefunden, in der Spanien, nicht zuletzt durch das
Wüten der Inquisition bedingt, ein besonderer – barbarischer,
zivilisationsfremder – Hang zur Grausamkeit unterstellt wurde.

Abgesehen von
den historischen Fakten und der öffentlichen Debatte um die Todesstrafe vom 18.
bis ins 20. Jahrhundert, werden wir uns insbesondere auch mit einer Reihe der
von diesen Fragestellungen affizierten künstlerischen Zeugnisse beschäftigen.
Im Bereich der Literatur gehören dazu unter anderem das aufklärerische
Prosadrama El delincuente honrado(1774) von Gaspar Melchor de Jovellanos und der Kurzroman La familia de Pascual Duarte (1942) des Nobelpreisträgers Camilo José
Cela – beides Klassiker der spanischen Literatur. Was die bildende Kunst angeht,
wird eine Auseinandersetzung mit Goyas Radierungen unumgänglich sein. Im
Hinblick auf den Film bieten sich gleich mehrere herausragende Beispiele an:
Luis Berlanga schwarze Komödie El verdugo(1963), Basilio Martín Patinos auch heute noch faszinierende Dokumentation Queridísimos verdugos (1973), Ricardo
Francos unmittelbar in die Phase der Transición fallende gleichnamige
Verfilmung von Celas Romans Pascual
Duarte
(1976) sowie der historisch höchst informative Spielfilm Salvador (2006) von Manuel Huerga und
der Dokumentarfilm La muerte de nadie –
el enigma Heinz Ches
(2004) von Joan Dolç über die letzte in Spanien
vollzogene Hinrichtung. Was es nicht zuletzt für uns als Betrachter bedeutet,
sich mit einer derartigen Thematik zu befassen, wollen wir anhand der
Diskussion von Susan Sontags Essay Regarding
the Pain of Others
(Das Leiden
anderer betrachten
, 2003) klären.

 

Teilnahmevoraussetzungen:

Regelmäßige
Anwesenheit (Anwesenheitspflicht!), ausreichende Spanischkenntnisse sowie die
abgeschlossene Lektüre des Theaterstücks El
delincuente honrado
von Gaspar Melchor de Jovellanos und des (kurzen)
Romans La familia de Pascual Duarte von
Camilo José Cela.


Literatur:

Bitte
beschaffen Sie sich und lesen Sie die beiden unter den Teilnahmevoraussetzungen
genannten Texte. Das Stück von Jovellanos ist in mehreren Ausgaben im
Buchhandel oder als elektronischer Text in verschiedenen Versionen im Netz frei
verfügbar (z.B. unter www.cervantesvirtual.com).
Die Beschaffung des Romans von Cela kann u.U. Schwierigkeiten bereiten. Ab
sofort steht daher auch eine Kopiervorlage an meiner Bürotüre zur Verfügung
(AR-K 105). Eine elektronische Version kann auf Moodle (Scan) heruntergeladen
werden.

 

Hinweis:

Das Programm
des Seminars und eine Bibliographie sind ab Ende September auf Moodle
verfügbar. Bitte melden Sie sich dort rechtzeitig an.

Leistungsnachweis:

Für 2/3
(Studienleistung) KP: Referat (Vortrag, Präsentation, Thesenblatt) einzeln
oder, je nach Teilnehmerzahl, in der Gruppe; für 3 (Prüfungsleistung)/5/7 KP:
zusätzlich längere schriftliche Arbeit.

 

Beginn:

22.10.2013