Die Konzepte von Zivilisation und Gesellschaft sind auch immer eine Frage der Perspektive und damit der narrativen Funktion: Wer konfiguriert was/wen als Zivilisation oder Gesellschaft? Wer wird als das „Andere“ dem gegenübergestellt?
Wir werden dafür den Blick auf den (latein-)amerikanischen Kontinent richten, der bereits eine globale Bewegung und Perspektivierung beschreibt, die in den verschiedenen Medien aus und über diesen Raum manifest werden.
Ich schlage daher eine diachrone, transmediale und transkulturelle Perspektive vor, die uns unterschiedliche Blicke und Formate auf diese Fragestellungen ermöglicht: 1) literarisch-textuell, 2) multi- und transmedial und 3) soziokulturell.

1) Auf literarisch-textueller Ebene haben wir mit Laurent Binets Roman Civilizations einen kontrafaktischen Roman eines französischen Autors, der die Conquista Lateinamerikas anders denkt: vom Erstkontakt mit den Wikingern, die Pferde, Eisen und Herdenimmunität brachten, bis hin zur Conquista Europas durch Atahualpa, den letzten Herrscher des Inkareiches.
Eine andere Perspektive bietet der mexikanische Historiker Miguel-León-Portilla. Dieser hat verschiedene Stimmen und Schriften der Eroberten aus dem Nahuatl übersetzt und in dem Band La visión de los vencidos zusammengetragen. Diese Texte präsentieren das „Andere“ der spanisch-historischen Version der Ereignisse und geben dadurch auch den Eroberten eine Stimme.

2) Auf einer trans- oder multimedialen Perspektive lassen sich der französische Publisher Ubisoft nennen, der über das Genre der open world Spiele auch Gesellschaften und Zivilisationen imaginiert und konstruiert. So lässt der Publisher in Ghost Reccon Wildlands (2017) mexikanische Kartelle Bolivien erobern. Dadurch wird eine ähnliche Dynamik zwischen den Besatzern (Mexiko) und den Befreiern (USA) konstruiert, welche die komplexen Relationen des Drogenhandels zwischen Mexiko und den USA imaginiert.
Demgegenüber stehen Entwicklerstudios aus Lateinamerika (u.a. Lienzo). Diese versuchen in Spielen wie Mulaka (2018) und Aztech Forgotten Gods (2021), den indigenen Kulturen Raum in den Formaten und Genres der Videospiele zu geben und diese gleichzeitig als Produkte für einen globalen Raum zu vermarkten.

3) Ein weiteres Konzept, das dieses Verhältnis von Kultur und Gesellschaft fasst, ist das Konzept des Kulturerbes (Cultural heritage). Wir werden uns dabei mit dem Projekt „México Alternativo“ beschäftigen. Dort wird versucht die relevanten Geschichten und Orte der Ciudad de México aus der Zivilgesellschaft heraus lokalisiert zu ermitteln und über Webseiten, Apps, Virtual Reality und e-walks zu vermitteln.
Konkret werden wir überprüfen, ob dieses Projekt auch in einem deutschsprachigen Raum und Kontext funktioniert. Wir werden uns am Entwicklungsprozess dadurch beteiligen, dass wir entsprechendes Feedback zu Interface (UX) und Content formulieren und das Produkt dadurch für einen transkulturellen und transmedialen Zugang optimieren.
Dafür werden wir zusammen mit der Verantwortlichen dieses Projektes, Prof. Dr. Sandra López Varela aus der UNAM, am 10.11.2023 zusammenarbeiten.