Heute scheint es für uns wie selbstverständlich, dass Reisen mit Lust oder ganz spezifisch mit Urlaub und Vergnügen verknüpft ist. Wir ziehen gerne in die Fremde, um den Alltag hinter uns zu lassen, unseren Horizont zu erweitern und neuartige Erfahrungen zu sammeln. Das war allerdings nicht immer der Fall. Schon der Blick in die Begriffsgeschichte zeigt, dass dem Reisen in der Vormoderne das entscheidende Moment der Freiwilligkeit fehlt (das mittelhochdeutsche urloup meint v.a. den schmerzhaften Abschied). Dem entsprechen auch die drei uns bekannten Typen des Reiseberichts aus dem Spätmittelalter: die Pilgerführer wie z.B. die Reisebücher für das Heilige Land sowie die Intinerare, d.h. die Verzeichnisse von Kaiser- und Königsreisen, welche den Großteil der Jerusalem-Berichte ausmachen und in denen insbesondere die entstandenen Kosten der Reise, Wegstrecken und die Reiseausrüstung notiert sind. Als dritter Typus sind literarische Reisenarrative zu nennen, die entweder an die Tradition historischer, enzyklopädischer, theologischer bzw. biblischer Vorlagen anknüpfen oder aber auch literarische Darstellungskonventionen der Aventiurefahrt aufgreifen. Die Frage nach der Authentizität der Texte bzw. die Trennung des tatsächlich Erlebten und den Darstellungskonventionen scheint hierbei vielmehr eine ‚moderne‘, berichtet doch z.B. auch Felix Fabri auf seiner Reise ins Heilige Land von der Sichtung eines Einhorns. Auch in den Beschreibungen der ‚Neuen Welt‘ erfahren wir von Amazonen, Sirenen und Jungbrunnen. Immer wieder geht es hierin also um die Wahrnehmung des Fremden und mögliche Umgangsstrategien mit dem Unbekannten.

Das Seminar setzt sich anhand ausgewählter Beispiele der spätmittelalterlichen Pilgerreisetexte mit dem Zusammenhang von Reisen und Erzählen in der Vormoderne auseinandersetzen und insbesondere der Frage nach den literarischen Darstellungskonventionen sowie den Versuchen der Reisenarrative nachgehen, das Neue und Unbekannte aufzugreifen.