Mit dem zunehmenden öffentlichen Bewusstsein für ökologische Fragen floriert auch das Genre der Ökofiktionen in verschiedenen populären Medien. Prominente Beispiele sind Ernest Callenbachs Ecotopia (1975) oder Jeff VanderMeers The Southern Reach (2014). Als besondere Spielart der Science-Fiction entwerfen Ökofiktionen futuristisches Szenarien postnatürlicher Netzwerke zwischen Menschen und anderen Spezies durch den Einsatz von Wissenschaft und Technologie. Solche Spekulationen sind nicht nur Teil fiktionaler Medien, sondern fungieren bei verschiedenen Vertreter/innen der Wissenschaftsphilosophie wie Donna J. Haraway, Bruno Latour oder David Roden auch als Modelle für potenziell realisierbare Zukunftsentwürfe. Trotz signifikanter Unterschiede ist ein Kerngedanke ihrer Theorien, dass ein prosperierendes Weiterstehen des Lebens nur auf der Basis einer veränderten, verren Perspektive des Menschen auf und Interaktion mit anderen Spezies sowie der modernen Technologie und der Auflösung klassischer Hierarchischer Dualismen wie Natur und Kultur möglich seinwird. Diese Theorien sind zweifellos faszinierend und avancierten in den vergangenen Jahren zu regelrechten Modeerscheinungen. Die Frage ist jedoch, inwiefern diese oft abstrakten Konzepte tatsächlich in die Realität transformiert werden können. Für zahlreiche Autor/innen bildet die zeitgenössische Kunst einen vielversprechenden Testboden. Tatsächlich verbinden diverse Künstler/innen wie Špela Petrič, Maja Smrekar, Ólafur Elíasson oder Pierre Huyghe in ihren Werken ästhetische Ambitionen mit einer ökologischen Agenda. Häufig orientieren sie sich dabei an Science-Fiction-Medien und verwenden reale Technologien in neuartiger Weise, um modifizierter Körper, Landschaften und Ökosysteme zu schaffen, mit denen sie die möglichkeiten neuer postnatürlicher netzwerke medial und materielle austesten. Aber können solche postnatürlichen Experimente innerhalb der Kunstinstitution wirklich Vorbilder für ganzheitlich funktionierende Netzwerke bilden? Und was kann die Gesellschaft aus den erfolgreichen oder gescheiterten künstlerischen Versuchen, ökologische Spekulation in eine postnatürliche Realität zu transformieren, lernen? Im Seminar sollen diese Fragen diskutiert werden. Dazu setzen wir uns in Textanalysen mit dem literarischen Genre der Ökofiktion, aktuellen Theorien zur Science-Fiction sowie einschlägigen Positionen der ökokritischen Philosophie auseinander. Der Fokus des Seminars wird auf der Analyse ausgesuchter Kunstwerke liegen. So z.B. Beispiel auf Pierre Huyghes artifiziellem Ökosystem After Alife Ahead bei den Skulpturprojekten 2017 in Münster, das neben natürlichen Organismen auch einen genetisch veränderten "Glofish" und proliferierte Zellen in einem Inkubator visual durchisiert Augmented Reality umfasst. Ein weiteres Exempel ist Maja Smrekars preisgekrönte und kontrovers diskutierte K9_Topology auf der Ars Electronica 2017 in Linz, die das Verhältnis von Mensch, Wolf und Hund unter dem Einsatz moderner Technologie und im Lichte von Haraways Theorie der Companion Species und Sympoiesis diskutiert. Es werden die künstlerischen Strategien sowie die philosophischen und technischen Grundlagen dieser Projekte in den Blick genommen und die ethischen, (bio-)) politischen und rechtlichen Potenziale und diese Grenzen als Kunstwerke Laboratorien für zukünftig praktikable ökologische Netzwerke kritisch untersucht.
Einführende Literatur:
Alan C. Braddock:A Keener Perception: Ecocritical Studies in American Art History, Tuscaloosa 2009;- Kerstin Borchhardt, From Mental Experiments to Material Presence: Expanded Ecotopias Between Nature, Science and Spirituality in Contemporary Art, in: Giuseppe Schembri Bonaci/Nikki Anne Petroni (Hg.): APS Mdina Cathedral Contemporary Art Biennale 2020: regaining a paradise lost: the role of the arts, Valetta 2020, 31-45;- Rosi Braidotti/Simone Bignall (Hg.): Poshuman Ökologien: Complexity and Process After Deleuze, New York 2018;- Ernest Callenbach: Ecotopia: The Notebooks and Reports of William Weston, Indore 1975;- Clark: Ecocriticism on the Edge: The Anthropocene as a Threshold Concept, London 2015;- Daniela Hahn/Erika Fischer-Lichte (Hg.): Kunst und Ökologie, Paderborn 2015;- Donna J. Haraway: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene , Durham 2016;- Bruno Latour: Facing Gaia: Eight Lesen on the New Climatic Regime, Cambridge 2017;- Serenella Iovino/Serpil Oppermann (Hg.): Material Ecocriticism, 1-17, Bloomington 2014;- Thomas Macho:Science & Fiktion: Gedankeneximente in Wissenschaft, Philosophie und Literatu, r Frankfurt a. M. 2004;- Simona Micali: Towards a Posthuman Imagination in Literature and Media: Monsters, Mutants, Aliens, Artificial Being, Oxford (u.a.) 2019;- Timothy Morton: Dark Ecology: For a Logic of Future Koexistenz, New York 2016;- Andrew Patrizio (Hg).: The Ecoallogic Eye. Assembling an Ecocritical Art History, Manchester 2019; - Ingeborg Reichle: Kunst aus dem Labor: zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft im Zeitalter der Tecnoscience,Wiesbaden 2005;- David Roden: Posthuman Life: Philosophy at the Edge of the Human, Abingdon 2014; - Thomas Schärtl/Jasmin Hassel: Nur Fiktion?: Religion, Philosophie und Politik im Scince-Fiktion-Film der Gegenwart, Münster 2015;- Anneke Smelik: The Scientific Imaginary in Visual Culture,Göttingen 2010; - Gry Ulstein, Brave New Weird: Anthropocene Monsters in Jeff VanderMeer es "The Southern Reach"., CONCENTRIC-LITERARY AND CULTURAL STUDIES, 43, 1 (2017), 71-96;- Friedrich Weltzin/Antonia Ulrich (Hg.): Design und Mimesis: Nachahmung in Natur und Kultur, Berlin 2019;- Susanne Witzgall: Kunst nach der WissenschaftNürnberg , 2003;- Hubert Zapf (Hg.): Handbook of Ecocritic and Culturism and Cultural Ecology, Berlin/Boston 2016.
- Dozent/in: Kerstin Borchhardt