Als kürzlich in der Presse bekannt wurde, dass die Essener SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz – anderes als in ihrem öffentlichen Lebenslauf zu lesen – niemals Abitur gemacht und auch niemals Jura studiert hat, war die Empörung groß. Auch Angaben über eine Tätigkeit als Anwältin in einer Kanzlei, als Juristin im Management eines Konzerns sowie über eine freiberufliche Tätigkeit seien von ihr frei erfunden worden. Dieser Fall erinnerte an die spektakuläre Plagiatsaffäre (2011) um den damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU), der für das Abfassen seiner Promotion großzügige Anleihen bei ungenannten Quellen unternommen hatte, um nicht nur einen Adels- sondern auch einen Doktortitel tragen zu dürfen. Weitere Skandale folgten.

Im neoliberalen Verständnis unseres kapitalistischen Zeitgeistes ließen sich solche Formen der Hochstapelei als probate Strategien des impression management interpretieren, als Selbstinszenierung unter kreativem Einbezug fiktionaler Elemente zur Verbesserung der persönlichen Außenwirkung. Wieland Schwanebeck bezeichnet das Hochstapeln jüngst als „kulturelle Praxis“ (2014), bei der die Grenzen zwischen Marketing und Betrug oft fließend sind. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht geht es bei der Hochstapelei um das kreative Verfassen alternativer Wunschbiografien, und diese Form der „frisierten Lebensläufe“, der trickreichen Eigenwerbung zum Zwecke der Steigerung des eigenen symbolischen und ökonomischen Kapitals (Bourdieu) ist keineswegs nur ein Zeichen unserer Zeit. Bereits Stephen Greenblatt sprach für die Renaissance vom self fashioning der Höflinge, stets darum bemüht, den schönen Schein zu wahren, um in der Gunst des Monarchen möglichst hoch zu stehen.

Im Seminar soll das Phänomen der Schelmerei, des Betrugs und der Hochstapelei sowohl komparatistisch als auch historisch und intermedial durchleuchtet werden. Mit dem Lazarillo de Tormes (1554) erscheint in Spanien der erste Schelmenroman, in dem es bereits aus Sicht des gesellschaftlichen Außenseiters um den Versuch geht, vermittels kreativer Streiche (sog. burlas), allerlei kleinkriminellen Tricks den Aufstieg im feudalen Gesellschaftssystem des frühneuzeitlichen Spanien zu versuchen. In Molières Gesellschaftskomödie Tartuffe ou L’Imposteur (1682) steht der gleichnamige Betrüger im Mittelpunkt, der sich unter Vorspielung falscher Tatsachen in einer wohlhabenden Familie einnistet. In den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull (1955) von Thomas Mann erzählt der im Gefängnis sitzende Titelheld seine turbulente Lebensgeschichte vom Hoteldiener bis zum aristokratischen Staatsgast beim König von Portugal. Auch im Medium Film ist das Thema der Hochstapelei beliebt: Exemplarisch werden wir uns mit den beiden Spielfilmen Catch Me If You Can (R: Steven Spielberg, USA 2002) sowie mit der Patricia-Highsmith-Verfilmung The Talented Mr. Ripley (R: Anthony Minghella, USA/I 1999) beschäftigen.