In den 1920er Jahren entwickelte sich insbesondere in Deutschland im noch jungen Fach der Psychologie ein eigenständiges Feld, welches zunächst als Gestaltpsychologie, später von einigen Vertretern auch umfassender als Gestalttheorie bezeichnet wurde.

Die Gestaltpsychologen erforschten die menschliche Wahrnehmung. Während die seinerzeit etablierten Wahrnehmungsmodelle davon ausgingen, dass Wahrnehmung so funktioniere, dass die Sinnesorgane Reize an das Gehirn „senden“ und dieses diese Reize dann auf Basis von Erfahrung und Abgleich lediglich „interpretiert“, kamen die Gestaltpsychologen im deutlichen Widerspruch dazu zu dem Schluss, dass Wahrnehmung ein eigenständig dynamischer schöpferisch-kreativer Akt sei, in dessen Zuge es zur psychischen „Produktion“ von Wahrnehmungseinheiten („Gestalten“) käme.

Obgleich Gestaltpsychologie als eigenständige wissenschaftliche (Teil-)Disziplin heute eigentlich nur noch eine Fußnote der Wissenschaftsgeschichte bildet, spielen die dort formulierten Gestaltgesetze und die damit verbundenen theoretischen Implikationen im Zusammenhang mit Medien und Medientheorien nach wie vor eine teilweise wesentliche Rolle. Gestaltpsychologie stellt gewissermaßen ein grundlegendes theoretisches Instrumentarium zur Verfügung, auf welches (manchmal implizit, manchmal explizit) so manche Medientheorie, mindestens ebenso viele (Medien-)Designtheorien oder –richtlinien und auch Kunsttheorien aufbauen.

Im Seminar sollen zunächst die Grundlagen gestaltpsychologischer Theorie erarbeitet werden. Anschließend werden diverse medientheoretische und auch medienpraktische Ansätze auf ihren gestaltpsychologischen „Gehalt“ hin analysiert. Insofern das verbindende Element der betrachteten Ansätze lediglich im Rückgriff auf dieselbe Wahrnehmungstheorie besteht, wird es sich um sehr heterogene Ansätze handeln – das Seminar wird einen relativ „wilden Ritt“ durch medienwissenschaftliche Landschaften unternehmen, was auch bedeutet, dass das Lesepensum nicht vollkommen unbeträchtlich sein wird (!).