Das Seminar widmet sich einer zentralen Frage der Philosophie der Mathematik: Welchen ontologischen Status haben mathematische Objekte wie Zahlen, Mengen und Funktionen? Das zugrundeliegende Problem dieser Debatte zeigt sich besonders deutlich in Paul Benacerrafs berühmtem Dilemma: Entweder behandeln wir mathematische Aussagen semantisch analog zu anderen wahren Aussagen - dann müssen wir die Existenz abstrakter mathematischer Objekte annehmen, haben aber das epistemologische Problem zu erklären, wie wir Wissen über kausale inerte, außerhalb von Raum und Zeit existierende Entitäten erlangen können. Oder wir machen mathematisches Wissen epistemologisch zugänglich - verlieren dann aber eine überzeugende Erklärung mathematischer Wahrheit. Dieser Konflikt zwischen semantischen und epistemologischen Anforderungen an eine Philosophie der Mathematik bildet den Ausgangspunkt für die Untersuchung dreier einflussreicher Positionen.
Der mathematische Platonismus, prominent vertreten durch Kurt Gödel, behauptet die unabhängige Existenz mathematischer Objekte. Für Platonisten sind mathematische Objekte abstrakt, unabhängig von menschlichen Agenten und ihrer Sprache, ihrem Denken und ihren Praktiken. Gödel ging sogar so weit, eine Form mathematischer Intuition anzunehmen, die analog zur Sinneswahrnehmung funktioniert und uns Zugang zur abstrakten mathematischen Realität verschafft. Im scharfen Kontrast dazu steht Hartry Fields nominalistisches Programm in "Science without Numbers", das zeigt, wie physikalische Theorien ohne Bezugnahme auf abstrakte mathematische Entitäten formuliert werden können. Field argumentiert, dass die Nützlichkeit der Mathematik nicht ihre Wahrheit, sondern lediglich ihre Konsistenz voraussetzt. Der Konstruktivismus, insbesondere in Brouwers intuitionistischer Ausprägung, nimmt eine Mittelposition ein: Mathematik wird als Schöpfung des freien Geistes verstanden, die weder eine mathematische Realität außerhalb von uns annimmt, noch Mathematik auf ein bloßes Spiel mit Symbolen reduziert. Ein kantischer Ausweg?
- Dozent/in: Maximilian Zachrau