Für unser Seminar wird der Ausdruck „Mittelalter“ eigentlich unbrauchbar sein. Wir würden uns jedenfalls täuschen, wenn wir meinen, mit ihm einigermaßen trennscharf so etwas wie eine philosophiegeschichtliche Epoche bezeichnen zu können. Das bloß „mittlere Zeitalter“ zwischen Antike und Neuzeit, an das er denken lässt – eine scheinbar dunkle, dekadente Übergangsperiode – ist eine Fiktion. „Dunkel“ ist diese Zeit (Welche Zeit meint man eigentlich genau?) nur für den, der wenig über sie weiß. Wir wollen versuchen, es besser zu machen. Im Zentrum des Seminars steht die Metaphysik. Mit ihrem Begründer Aristoteles, bei dem unser Seminar ansetzen wird, nennt man sie besser „Erste Philosophie“. Denn sie soll die philosophische Grunddisziplin sein, die nach den Basisprinzipien und -begriffen jeder weiteren philosophisch-wissenschaftlichen Untersuchung fragt. Wir werden zunächst in groben Zügen dieses intellektuelle Projekt rekonstruieren, das Aristoteles der Nachwelt hinterlassen hat. Unser Ziel ist es dann, sein Schicksal bis ins 15. Jahrhundert hinein zu verfolgen. Das kann natürlich nur durch Vereinfachung geschehen. Wir werden verschiedene Traditionslinien ausmachen und dann sehen, wo sie auseinanderlaufen und wo sie sich kreuzen. Das Ziel des Seminars ist erreicht, wenn klar wird, dass eine solche Vereinfachung notwendig an der Gedankenfülle und Subtilität der Texte, die wir lesen, scheitern muss. Besonders eingehend sollen Textauszüge von Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Duns Scotus und Wilhelm von Ockham studiert werden.