Essen ist mehr als die bloße Aufnahme von Nahrung. Es ist ein soziales, kulturelles und politisches Phänomen, begründet in der Entdeckung des Feuers, dem Kochen rohen Fleisches, dem Lagerfeuer als Ort der Versammlung. Seit jeher lässt sich Gemeinschaft um entsprechende Mahlzeiten und vorhersehbare Essenszeiten organisieren. Bis heute gibt die Art wie wir essen, mit wem wir essen und wo wir essen Auskunft über unserer gesellschaftlichen Umgangsformen. Mit der zunehmenden Betonung gesunder und nachhaltiger Ernährungsweisen und dem Zugang zu vielfältigeren Produkten und Küchen ist Essen sogar zu einer persönlichen Ausdrucksform geworden, die Lebensstile und kulturelle Identitäten definiert.

Dabei geht es auch immer um räumliche Erfahrungen – ob in der Intimität einer Küche, entlang einer festlichen Tafel oder auf einem Stadtmarkt. Architektur gestaltet die physischen Räume, in denen Essen zubereitet und konsumiert wird. Architektur beeinflusst aber auch die dort möglichen Abläufe und Handlungen. Räume des Essens sind Räume der Aushandlung. Sie können soziale Hierachien verstärken oder überwinden, Konsumverhalten formen oder ökologische Verantwortung einfordern. In diesem Sinne kann die Gestaltung jener Orte nicht nur als funktionale Aufgabe, sondern als kultur-politische Größe verstanden werden. 

Analog zu den kulturellen Bedeutungsebenen von Essen, liest sich das Interieur als architektonische Schnittstelle zwischen indiviueller Lebensgestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung. Es kann gleichwohl privat wie öffentlich sein, sich aufdrängen oder als Hintergrund dienen. Es thematisiert sie Architektur nicht primär als Objekt, sondern vielmehr als Atmosphäre. Details, Elemente und Materialien geben dabei Auskunft über die hier stattfindenen Handlungen. 

Während wir uns im Wintersemester mit dem Umbau obsoleter Typologien (villa, office) auseinandergesetzt haben, widmen wir uns im Sommersemester alltagsbestimmender Handlungen (fitness, food). Dabei wird zwischen unterschiedlichen Betrachtungsebenen und Entwurfsmaßstäben gearbeitet. Handlungsmuster (Essgewohnheiten) und Architekturbeispiele (Referenzen) bilden die Entwurfsgrundlage. Indem sie überlagert, komibiniert und interpretiert werden, entstehen alternative Raumentwürfe: Interieurs, die nicht mehr der individuellen Nutzung sondern einer kollektiven Essgewohnheit gewidmet werden. Ihnen werden in einem letzten Schritt 1:1 Fassadenfragemente gewidmet, die das Interieur und mit ihm die Essgewohnheit als “Strada Novissima” nach Siegen bringen. Ein großes Essen bildet den Abschluss des Studios.