Phänomenologie – verstanden als Methode, welche die uns umgebenden Phänomene deskriptiv zu erfassen sucht und sie in ihre erfahrungsmäßigen Zusammenhänge stellt ohne direkt metaphysische oder sonstige Vorannahmen zu postulieren – hat seine geistigen Ursprünge in Deutschland bei Edmund Husserl. Von dort hat sich im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte ein breites Forschungspanorama entfaltet, das Bereiche und Perspektiven umfasst, die heterogener nicht sein könnten.

Eine dieser Richtungen entwickelte sich in den 50er Jahren in Frankreich zur „phénoménologie existentielle“, d. h. zur Existenzialphänomenologie und wurde dort die dominante philosophische Strömung ihrer Zeit. Grob umrissen gruppiert ihr Denken sich um die Motive Freiheit, Leib und der Andere: Jean-Paul Sartre fragt, inwiefern der Mensch sich für seine eigene Freiheit entscheiden kann und muss, Maurice Merleau-Ponty untersucht, welche Rolle dabei der Leib spielt und bei Emmanuel Levinas kommt der Andere mit seinem Antlitz ins Spiel, wenn es um ethische Lebensfragen geht.

Die französische Phänomenologie kann als breit angelegtes Emanzipationsprojekt verstanden werden: Es gilt, sich selbst als Subjekt der Freiheit zu setzen und sich von vermeintlich objektiven Werten zu befreien, die letztlich von ökonomischen (Sartre), patriarchalen (Simone de Beauvoir) oder kolonialen (Frantz Fanon) Machtverhältnissen bedingt sind.

 

Im Seminar werden wir Texte von französischen „Phänomenologieklassikern“ des 20. Jahrhunderts lesen, wie etwa von Jean Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty und Emmanuel Levinas. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit (zu Unrecht) weniger diskutierten Phänomenolog*innen wie Simone de Beauvoir, Jean Améry und Frantz Fanon und gehen mit den genannten Autor*innen Fragen der menschlichen Freiheit, der Körper-Leib-Geist-Relation und der Rolle des Anderen nach.

Die genau Seminarlektüre und Organisatorisches wird in der ersten Sitzung besprochen.

 

Wer sich bereits mit der französischen Phänomenologie vertraut machen möchte, seien diese Einführungen empfohlen:

 

Alloa, Emmanuel; Breyer, Thiemo; Caminada, Emanuele (Hg.) (2023): Handbuch Phänomenologie. Tübingen: Mohr Siebeck.

 

Waldenfels, Bernhard (1986): Phänomenologie In Frankreich. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.