Der Blick auf die eigene Studienordnung kann auch zu philosophischen Fragen Anlass geben. Sie steckt den Rahmen ab dafür, was studiert wird und in welcher Reihenfolge das zu geschehen hat. Sie trägt ein bestimmtes Konzept von Philosophie in sich, mit dem einiges als basal, anderes als weniger basal, manches sogar als entbehrlich qualifiziert wird. Die Logik gehört in Siegen, wie anderswo auch, an den Anfang. Sie soll, in einem gewissen Sinne, Grundlage für alles andere sein. Sie soll das Instrumentarium sein, das uns erlaubt, beliebige philosophische Sachfragen auf eine vernünftig-nachvollziehbare Weise zu behandeln. Das Instrumentarium hat sich allerdings mit der Zeit geändert: Was wir heute im Kurs zur formalen Logik studieren, ist nicht das, was etwa ein Student der Logik im Mittelalter studierte. Letzterer – und mit ihm eine Jahrhunderte währende Tradition des philosophischen Studiums – hatte die logischen Schriften des Aristoteles, das sogenannte Organon (griech. ὄργανον für ‚Werkzeug‘), in- und auswendig zu kennen. Man kann die Bedeutung kaum überschätzen, die diesen Texten für die intellektuelle Entwicklung der Studierenden beigemessen wurde. In einem einsemestrigen Seminar werden wir uns nicht vornehmen können, zu einer derart intimen Kenntnis des aristotelischen Organons zu gelangen. Wir wollen auf einer anderen, fundamentaleren Ebene ansetzen: Was ist überhaupt das philosophische Programm, das Aristoteles in so unterschiedlichen Schriften wie den Kategorien, in De interpretatione, in der Topik und in den Analytiken verfolgt? Was ist Anspruch und Ziel dieser Texte? Haben wir es hier tatsächlich mit einem Instrumentarium des Denkens zu tun oder doch mit etwas anderem? Welche Vorgeschichte haben diese Schriften, etwa in der platonischen Dialektik oder auch in der Sophistik? Wir werden uns diesen Fragen durch die Lektüre ausgewählter Passagen aus den Primärtexten stellen. Wer eine gewisse Freude an der Abstraktion hat und die Bereitschaft mitbringt, sich auch durch zunächst sehr spröde wirkende Texte zu arbeiten, wird sehen, dass Aristoteles den faszinierenden Versuch macht, in konsequenter Präzision von demjenigen zu reden, was das Sprechen verständlich und das Denken vernünftig macht.