Der Soziologie wurde lange vorgehalten, technikvergessen zu sein. Sie sei blind dafür, dass und wie Objektbestände an gesellschaftlicher Ordnungs­bildung mitwirken. Tatsächlich ist der empirischen Erforschung praktischer Nut­zung von Technik mit dem weiterhin erfolgreichsten Paradigma soziologischer Theorieentwicklung, dem methodologischen Individualismus rationaler Nutzenabwägung, nicht geholfen. Das Seminar rekonstruiert in einem ersten Schritt, wie sich neben und gegen Postulate instrumenteller Rationalität und gegenläufig zu einem hartnäckigen Individualismus ein technografisches Projekt formiert hat. Bei aller Heterogenität der theoretischen Ansätze, die in diesem Zuge mobilisiert werden, lässt sich dabei ein gemeinsames Interesse erkennen. Es besteht darin, an Technik delegierte Kontrolle und technisch vermitteltem Machtwechsel – zunächst wie unter einem Mikroskop – eine neue Aufmerk­samkeit zukommen zu lassen. In einem zweiten Schritt zieht das Seminar eine vorläufige Bilanz: Was zeigen Beschreibungen, die erst möglich werden, wenn Technik nicht auf Instrumente individueller Nutzenmaximierung reduziert wird? Wie ergiebig, wie überraschend und wie verlässlich sind Beschreibungen, die Technik stattdessen eine Beteiligung am Handeln und den Status einer Interak­tionspartnerin einräumen? Und wer profitiert eigentlich, wenn wir davon abse­hen, Techniknutzung – sei es im alltagstheoretischen Reflex oder mit sozialwis­senschaftlichen Ansprüchen – zu „individualisieren“ und zu „rationalisieren“? Auch diese letzte Frage ist anhand konkreter (ausgewählter) Beispiele zu diskutieren. Das Seminar bezieht dafür technografische Reportagen ein, die nicht in soziologi­schen Fachzeitschriften erschienen sind. Insofern ist Technografie auch ein Lai­enprojekt.

Lektüreempfehlungen

Braun-Thürmann, H. (2002). Künstliche Interaktion. Wie Technik zur Teilnehme­rin sozialer Wirklichkeit wird. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Heath, C., & Luff, P. (2000). Technology in Action. Cambridge: UP.

Hutchins, E. (1995). Cognition in the Wild. Cambridge: MIT Press.

Paßmann, J. (2018). Die soziale Logik des Likes: Eine Twitter-Ethnografie. Frankfurt a. M.: Campus.

Rammert, W., & Schubert, C. (Hrsg.). (2006). Technografie. Zur Mikrosoziologie der Technik. Frankfurt a. M.: Campus.

Suchman, L. (2007). Human-Machine Reconfigurations. Plans And Situated Actions, 2nd Edition. Cambridge: UP.

Tillig, B. (2010). Cici Letters. An Epistolary Piece. Köln: Strzelecki Books.


Anforderungen

SL: Vorbereitung eines den Seminartext (nicht bloß zusammenfassenden, sondern) in eigenständiger Weise zuspitzenden Referats. Diese Präsentation richtet sich an ein Publikum, das den Seminartext gelesen hat. Bitte stellen Sie Ihre Präsentation unter einen Titel (statt den Titel des Seminartextes bloß zu übernehmen), der ankündigt, wofür der Seminartext Originalität beansprucht. Bitte arbeiten Sie in Form eines Thesenpapiers auf max. 5 Textfolien mit jeweils ca. 60 eigenen Wörtern aus, worin diese Ansprüche bestehen. Bitte verwenden Sie auf diesen Folien keine Stichpunkte ("Spiegelstriche"), sondern Sätze. Bitte verwenden Sie keine Pfeildiagramme, sondern Konjunktionen und Verben. Bitte schicken Sie diese Datei (als pdf) spätestens 5 Tage vorab an den Dozenten.

!!Anmerkung: In der zweiten Hälfte des Kurses (ab 8.12.) betreffen die genannten Anforderungen für eine Präsentation jeweils ein Doppelpack (Text/Film, Text/Text).

 

PL: Schriftliche Hausarbeit mit Bezug zum Seminarthema. Abgabe spätestens 30.3.24 (pdf per E-Mail an den Dozenten). Format nach den üblichen Vorgaben, d.h. 12-15 Textseiten bei Arial 11pt oder Times 12pt, Zeilenabstand 1,5. Bitte achten Sie auf eine vollständige und einheitliche Zitierweise. (Es gibt keine Vorgaben zum Zitationsstil.)