To queue or not to queue: Ist das eigentlich noch eine Frage? Gesellschaften, die sich als „marktwirtschaftlich“ beschreiben, nehmen für sich in Anspruch, dass „bei uns“ niemand mehr warten muss. Sollten Wartezeiten dennoch un­vermeidbar sein, sorgt Erlebnisdesign für Ablenkung (Disneyland). Demzufolge ist jede von „Queue­topia“ (Winston Churchill) ausgehende ideologische Gefahr gebannt? Weit verbreitete und mitun­ter wirksame Klagen über fortschreitenden Zivilisationsverlust geben Anlass, dies zu bezweifeln: Worauf können wir uns noch verlassen, wenn selbst die einfachste Regel („first come, first ser­ved“) nicht eingehalten, geschweige denn sanktioniert wird? Wenn Warteposi­tionen ignoriert und Wartende so behandelt werden, als wären sie nicht da? Ganz unterschiedliche Initiativen der Politisierung drängen auf eine Rehabilitie­rung von Warteschlangen: Sie prangern an, dass unter Geflüchteten Queue-jum­ping stattfindet; sie bezichtigen Stadtverwaltungen, die den Zugang zu öffentli­chen Toiletten einschränken, der Diskriminierung. In diesen Klagen deutet sich an, dass Warteschlangen in einer weiteren – elementaren – Hinsicht für Verwir­rung sorgen: Erzwingen sie (serielle) Passivität? Sind sie insofern Ausdruck läh­mender, hierarchischer Machtverhältnisse? Oder setzen sie, im Gegenteil, Aktivität und Kompetenz, ein Doing waiting, voraus, dem ein emanzipatorisches Po­tential zuzutrauen ist? Dann wäre die Geschichte der Warteschlangen entsprechend fortzuschreiben. Theorieangebote, die Erklärungen für den Beitrag von Warteschlangen zu sozialer Ordnungsbildung (und ihren Wandel) informie­ren, können das nicht ignorieren. Gegen den ahistorischen Anspruch des me­thodologischen Individualismus (nutzenmaximierender Wahlentscheidungen), wie ihn die Ausgangsfrage suggeriert, macht sich das Seminar daher vor­nehmlich mit institutions- und praxistheoretischen sowie organisationssoziologi­schen Ansätzen vertraut. Es diskutiert deren Reichweite anhand diverserer Ausprägungen von Warteschlangen.


Lektüreempfehlungen

Beckett, S. (1986 (1952)). Warten auf Godot. Stuttgart: Reclam.

Churchill, W. (1950). Queuetopia as policy. The Sydney Morning Herald, 30.1.1950.

Coetzee, J. M. (1980). Waiting for the barbarians. London: Secker & Warburg.

Kertesz, I. (2012 (1975)). Roman eines Schicksallosen. Reinbek: Rowohlt.

Sorokin, V. (1990 (1985)). Die Schlange. Zürich: Haffmans.


Anforderungen

SL: Vorbereitung eines den Seminartext (nicht bloß zusammenfassenden, sondern) in eigenständiger Weise zuspitzenden Referats. Diese Präsentation richtet sich an ein Publikum, das den Seminartext gelesen hat. Bitte stellen Sie Ihre Präsentation unter einen Titel (statt den Titel des Seminartextes bloß zu übernehmen), der ankündigt, wofür der Seminartext Originalität beansprucht. Bitte arbeiten Sie in Form eines Thesenpapiers auf max. 5 Textfolien mit jeweils ca. 60 eigenen Wörtern aus, worin diese Ansprüche bestehen. Bitte verwenden Sie auf diesen Folien keine Stichpunkte ("Spiegelstriche"), sondern Sätze. Bitte verwenden Sie keine Pfeildiagramme, sondern Konjunktionen und Verben. Bitte schicken Sie diese Datei (als pdf) spätestens 5 Tage vorab an den Dozenten.

 

PL: Schriftliche Hausarbeit mit Bezug zum Seminarthema. Abgabe spätestens 30.3.24 (pdf per E-Mail an den Dozenten). Format nach den üblichen Vorgaben, d.h. 12-15 Textseiten bei Arial 11pt oder Times 12pt, Zeilenabstand 1,5. Bitte achten Sie auf eine vollständige und einheitliche Zitierweise. (Es gibt keine Vorgaben zum Zitationsstil.)