Das Werk des Philosophen Jean Améry ist ein wenig rezipiertes. Dabei stellt sein erfahrungsbasierter Ansatz, der um das epistemologische Problem kreist, wie das subjektiv Erlebte für eine geteilte Welt vermittelbar gemacht werden kann, noch heute spannende Anknüpfungspunkte für gegenwärtige, sozialphilosophische Fragestellungen bereit.

Améry verhandelt in seinem Denken subjektive und körperliche Positioniertheiten, Verletzbarkeit, Schmerz und Gewalt. Dabei erhebt er den Anspruch, Philosophie mit einer politischen Perspektive zu verbinden. Seine Erfahrung als Widerstandskämpfer gegen das dritte Reich, Jude und Auschwitz-Überlebender sind für ihn nicht zu trennen von seinem philosophischen Nachdenken über menschliche Grundbedingtheiten, die ihn umgebende Welt und den Anderen. Immer wiederkehrend ist bei ihm die Frage danach, unter welchen Umständen der Mensch über Handlungsmacht verfügt und inwiefern diese (potenzielle) Handlungsfreiheit moralpolitische Verantwortung gegenüber dem Anderen und der Welt mit sich bringt.

Dabei setzte er sich schon vor einem halben Jahrhundert nicht nur mit der klassischen Phänomenologie auseinander, mithilfe derer er den Körper wieder ins Zentrum philosophischen Nachdenkens bringen will, sondern beschäftigt sich auch – weniger offensichtlich – mit feministischen Theorien (Simone de Beauvoir) und dekolonialen Ansätzen (Frantz Fanon). Seine dabei postulierte „Revision der Permanenz“ erhebt er als Methode, die sich unaufhörlich selbst misstraut.

Im Seminar werden wir uns Amérys Erkenntnistheorie ebenso widmen wie seinem Körper-Leib-Verständnis und Reflexionen zu Verletzbarkeit sowie Grenzerfahrungen wie Folter, Altern und den (Frei)-Tod. Dabei lesen wir nicht nur Texte von Améry selbst, sondern bringen sie ins Gespräch mit seinen Diskussionspartner*innen.