Philosophie der Wahrnehmung

Die Endlichkeit des menschlichen Verstandes zeigt sich u.a. daran, dass das menschliche Denken auf die Gegebenheit einer Außenwelt angewiesen ist. Gegenstände müssen dem Verstand erst gegeben werden, um überhaupt gedacht werden zu können. Erst im Umkreis solcher vorgegebenen Gegenstände kann man Handlungen vollziehen. Wie Edmund Husserl, Begründer der Phänomenologie, das schreibt: “Wir, als im wachen Weltbewußtsein Lebenden, sind ständig aktiv auf dem Grunde der passiven Welthabe, wir sind von (…) vorgegebenen Objekten affiziert, den oder jenen sind wir, unseren Interessen gemäß, zugewendet, mit ihnen in verschiedenen Weisen aktiv beschäftig” (Die Krisis der Europäischen Wissenschaften, Abschn. 28). Dieses Bewusstsein von Außenwelt ist sinnlich; es basiert auf sinnlicher Wahrnehmung. So zeigt sich, dass die Untersuchung der Möglichkeit und Struktur sinnlicher Wahrnehmung für ein Verständnis des menschlichen Denkens und Handelns zentral ist.
In diesem Seminar setzen wir uns mit verschiedenen Fragen über die Natur sinnlicher Wahrnehmung auseinander. Der Fokus liegt auf Texten der gegenwärtigen Philosophie des Geistes.mit denen wir drei wesentliche Themengebiete abdecken werden. Im ersten Teil des Seminars behandeln wir das Problem von/ Halluzination und Täuschung. In der Geschichte der Philosophie werden sie häufig als Beleg dafür herangezogen, dass wir äußere Gegenstände nicht direkt wahrnehmen, sondern ihre Existenz auf der Grundlage subjektiver Sinnesdaten erschließen.
Im Seminar wollen wir die Logik dieses Gedankens nachvollziehen und die verschiedenen Positionen in der Debatte rekonstruieren.
Im zweiten Teil behandeln wir die Frage, ob Wahrnehmung (in irgendeiner Weise) durch Begriffe und begrifflicher Erkenntnis bestimmt wird. Die These, dass das der Fall ist, geht auf Kant zurück und erlebt in der zeitgenössischen Philosophie eine Renaissance. Im letzten Teil des Seminars gehen wir kurz auf den Zusammenhang von Wahrnehmung und Zeit ein. Sowohl die Frage, wie wir Zeit wahrnehmen, als auch die Frage nach der zeitlichen Struktur der Wahrnehmung werden behandelt.