Nikolaus von Kues, auch Cusanus genannt (†1464), wird in den Handbüchern als eine Schlüsselfigur der Denkgeschichte betrachtet, an der sich paradigmatisch die kulturelle Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit ziehen und konzeptualisieren lässt. Ohne diese implikationsreiche historiographische Verortung unkritisch zu übernehmen, gilt es im Seminar zu untersuchen, auf welche Weise Cusanus die wissenschaftliche Unzulänglichkeit der scholastischen, aristotelisch geprägten Universitätsphilosophie diagnostizierte und sein Reformvorhaben auffasste. In Anlehnung an die sokratische Unwissenheit entwarf Cusanus nämlich ein paradoxales Philosophieideal, das sich explizit von einem autoritätsbezogenen Buchwissen distanziert und das Denken vielmehr als die Kunst eines ungebildeten Handwerkers repräsentiert. Was bedeutet es aber, die Wissenschaft als Kunst umzudeuten und die These aufzustellen, dass sich die Vernunft zu ihrem Erkenntnisgegenstand so verhält, wie ein Künstler zu seinem Kunstwerk? Von dieser Frage geleitet und auf der Grundlage unterschiedlicher Cusanus-Texte rekonstruieren wir im Seminar die theoretische und historische Entwicklung des Projektes, eine Universalkunst zu erarbeiten, welche die Prinzipien der Einzelwissenschaften liefern soll und zugleich die Gesamtheit des menschlichen Wissens im Kern abzubilden beansprucht.