Das Werk, mit dem wir uns im Seminar befassen, gilt bekanntlich als ein klassischer, unverzichtbarer Bestandteil der philosophiehistorischen Bildung. Es stellt aber seine Leserinnen und Leser vor ein signifikantes Paradox. Das Buch ist nämlich als solches in der überlieferten Form bzw. unter dem tradierten Titel von Aristoteles nie konzipiert worden und hat dennoch den Namen und die Grundfragen jener philosophischen Disziplin bestimmt, die in der Denkgeschichte als Metaphysik bezeichnet wird. Die Herausforderung des Seminars besteht gerade darin, diesem Paradox nachzugehen. Wir verfolgen im Text die unterschiedlichen Bemühungen des Aristoteles zurück, eine Wissenschaft (die „gesuchte Wissenschaft“) zu begründen, welche die grundlegenden, ersten Prinzipien der Wirklichkeit erforscht, wobei wir diese theoretische Suche in der Entwicklung des aristotelischen Denkens sowie im Spannungsfeld der philosophischen Debatten der Antike verorten. Andererseits gilt es, die textuelle und systematische Entstehung einer Begrifflichkeit zu erhellen, welche die Sprache und den Erkenntnishorizont der Philosophie bis heute entscheidend geprägt hat. Bei der Lektüre des Buches werden wir im Besonderen vier (zusammenhängende) Problemkonstellationen unter die Lupe nehmen: Aristoteles’ Auseinandersetzung mit der platonischen Ideen- und Ursachenlehre; den Entwurf einer universellen Wissenschaft des Seienden als Seienden; die Theorie der Substanz und schließlich die Lehre einer sich selbst denkenden göttlichen Vernunft, welche als Prinzip der himmlischen Bewegung dem Kosmos übergeordnet ist.