Marcel Mauss’ ethnologischer Klassiker Essay über die Gabe (1923/24) stellt das System von Geben und Nehmen nicht nur als eine Form des Austauschs früherer Gesellschaften dar, sondern deutet Tauschrituale und nicht-kommerziellen Gabentausch als Grundlage des Zusammenhalts von Gesellschaften überhaupt. Die Pflicht zur Erwiderung der Gabe, die durchaus selbstzerstörerisch wirken kann, liege in der mitenthaltenen Präsenz des Gebers, die es zu neutralisieren gilt. Die Gabe ist gift; wer nimmt, ist genommen.

Die Auswirkungen von Mauss’ Studie auf Disziplinen wie Ethnologie, Sozialpsychologie, Religionsgeschichte, Wirtschaftswissenschaften - und auf diesem Weg auf die Medien- und Kulturwissenschaften – war immens. Im Seminar wollen wir den Essai sur le don genau lesen, aber auch seinen Fortsetzungen und seiner Kritik einige Aufmerksamkeit schenken. So werden wir über die Beziehung von Gabe und Geld, von Gabentausch und Subjektivität, von Gabentausch und Verwandtschaft nachdenken, und zwar anhand klassischer Texte von Jean Baudrillard, Marcel Hénaff, Claude Lévi-Strauss und Paul Ricoeur.