Kants Anliegen in der Kritik der praktischen Vernunft ist es, zu zeigen, dass es eine Willensbestimmung geben kann, die durch ein rein formales Prinzip begründet ist. Die „erste Frage“ einer solchen „Kritik der praktischen Vernunft“ ist daher, „ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein könne“ (KpV, 5:15). Gegenstand der Kritik ist dabei allein die empirisch-praktische Vernunft, da sie vorgibt, moralische Prinzipien seien ausschließlich sinnlich bedingt und nicht-intellektuelle Interessen die einzige Motivationsquelle von Handlungen. Das positive Ziel einer Kritik der praktischen Vernunft muss es daher sein, zu zeigen, dass auch die reine praktische Vernunft Regeln des Verhaltens vorgeben kann, die im praktischen Leben tatsächlich wirksam werden können. Wenn Vernunft selbst die Quelle der Vorstellungen ist, die in unser Handeln als Gründe eingehen, dann ist reine Vernunft praktisch. Und nur dann, so argumentiert Kant, kann es moralisch-praktische Prinzipien geben, die universal, von unbedingter Geltung und als solche potentiell handlungsleitend sind.

Im Seminar wollen wir versuchen, uns die einzelnen Argumentationsschritte von Kants dichter und komplexer Darstellung durch eine detailgenaue Analyse zentraler Textpassagen zu erschließen. Dabei wollen wir versuchen, uns einem Verständnis von Schlüsselbegriffen der kantischen Argumentation wie Freiheit, Autonomie, Heteronomie, praktisches Gesetz, Maxime, Achtung für das Gesetz und höchstes Gut durch eine sowohl textnahe als auch systematisch angemessene Analyse dieser zentralen moralphilosophischen Termini zu nähern. Erwartet wird daher von den SeminarteilnehmerInnen die Bereitschaft, sich kontinuierlich und intensiv mit Kants Text auseinanderzusetzen und diese Auseinandersetzung z. B. in Form von Diskussionsbeiträgen im Seminar einzubringen. Es wird gebeten, sich eine Textausgabe anzuschaffen.